Zu Anna Reckers Totaltheater- Konzeption

2e Festival de musique luxembourgeoise

Worte, und seien sie noch so poetisch verschlüsselt, tun sich immer schwer daran, wenn sie Prozesse umreißen müssen, denn jede Art von Logik (das Paradepferd rationellen Denkens) offensichtlich abhanden geht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Unterfangen, Anna Reckers „Synchronoptisches Theater“ in die Form einer traditionellen Konzert- bzw. Theaterkritik hineinzudrängen – daher der fragmentarisch anmutende Aspekt der folgenden Zeilen, in denen sich dem Leser eher Denkanstöße denn analytisch tiefgreifende, den Gesamtkontext (und vor allem dessen künstlerisches Umfeld) auf inadäquate Weise zerpflückende, wissenschaftliche kritische Belange mit auf den (Gedanken-)Weg gebe.

…einbeziehen…

Das Publikum, die Mitwirkenden (auch dann, wenn sie anders mit-wirken, als es ihrer althergebrachten Rolle entspricht), den ganzen, physischen wie auch zeitlichen Raum der Aufführungsumstände ab jedem Aufführungsort (dem Escher Stadttheater mit seinem bühnentechnischen Möglichkeiten mit seiner Galerie) einbeziehen in eine Art Gesamtkunstwerk, das jener weltanschaulichen Idee nahekommt, welche schon lange Zeit Anna Reckers scharfen Verstand wie eine mythisch verklärte, künstlerisch relevante, weil die Idee des kreativen Schaffensprozesses einbeziehende Gewissensfrage beseelt.

Das Publikum in den Schaffensprozeß mit einbeziehen heißt eigentlich dem mittleren „Kunstkonsumenten“ größere kreative Fähigkeiten zutrauen, als es in der althergebrachten Betrachtungsweise der Fall ist: „der nicht kreative Mensch ist mit der Voreingenommenheit belastet, es gäbe den Nicht-Künstler und den Künstler. Kunst heißt ursprünglich „Machen“. Jeder macht etwas, nicht nur der Künstler. Leben und etwas machen, also schöpferisch sein, sind zwei nicht zu trennende Handlungen. Kreativ ist gleichzusetzen mit schöpferisch, kreatürlich mit naturhaft und Kreatur mit Mensch. Der Künstler verhält sich zum Nicht-Künstler korrelativ. Dieser Einteilungsbegriff ist vielmehr fließend, wie man bei Kindern sieht. Jedes Kind ist schöpferisch von Natur aus. Sobald der Mensch erwachsen wird, verliert er oft seine Kreativität und Spontaneität zum Handeln.“ (Anna Recker) „Synchronoptisches Theater“ also, um das Kind im Erwachsenen wieder aufzuwecken, nur: einmal kräftig durchrütteln genügt hier keineswegs, das Luxemburger Publikum braucht Wiederholungen!

Gesamtkunstwerk:

Der „Begriff Gesamtkunstwerk bedeutet“ Anna Recker, „wie auch synchronoptisches Theater, alle kreativen, musischen Bereiche zu verbinden“. Hier verschmelzen Malerei (als kreativer Prozeß wie bei einem ‚Happening‘), Fotografie, Film, Choreographie, Pantomine, Musik (live sowie aus der Klangkonserve) und etwaige Publikumsreaktionen zu einem symbolgeschwängerten Ganzen, welches weniger mit dogmatischen Mitteln erziehen, denn durch mehr oder minder starke Provokation (durch ein mehr oder minder brutales Wachrütteln) anregen, bzw. befremden will. Wenn auch eine im Publikum stellenweise erhoffte Verschmelzung verschiedenartigster Kunstformen vom aufführungstechnischen Standpunkt her gesehen nicht immer gewährleistet war (und dies auch war auch nicht Anna Reckers Ziel), wenn nicht immer alle eingesetzten Kunstformen eng ineinandergriffen (so strebte Anna Recker z.B keine rhythmisch-kynetische Einheit zwischen Musik und Ballett an), sondern manchmal sogar nebeneinander wirkten, so war es eben jene Vielschichtigkeit des Geschehens, jener Kontrapunkt zwischen den verwendeten Kunstformen, die dem befremdend anmutenden Ziel entgegenwirkten.

Konzeption

Allem Anschein zum Trotz, entsprang Anna Reckers „Synchronoptisches Theater“ weniger einer happening-ähnlichen, improvisierten Konzeptionslosigkeit denn einer Beschränkung auf eine gewisse Anzahl von Symbolen und Zahlenverhältnissen, aus welchen sich mühelos die Solidität eines, die ganze Aufführung untermauernden philosophischen Gedankengutes herauslesen läßt. Wenn die ganze Angelegenheit dennoch recht kompliziert anmutete, so dürfte diese Tatsache wohl eher Annas recht verzweigtem Intellekt zuzuschreiben sein, und wir wissen ja ohnehin, daß sich dogmatisch-pädagogische Klarheit nicht mit der Konzeption dieses Totaltheaters vereinbaren läßt.

Befangenheit

Im Publikum gab es ohne Zweifel niemanden, den die Darbietung dieses Abends unbefangen gelassen hätten: wenn auch die Reaktionen der Zuhörer und Zuschauer zwischen schierer Ablehnung und befremdender Begeisterung schwankten, so darf und muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß das Publikum überhaupt auf irgendeine Art und Weise reagierte, also ganz allgemein etwas schuf (und dies auf der Ebene des Gefühls), unbewußt, kreativ und schöpferisch war; wenn auch diese Reaktionen nach außen hin recht bescheiden (zivilisiert) ausfielen – es bleibt noch viel zu tun! Der erste Schritt jedoch wurde unternommen, und dies dank eines Organisationsapparates, der neben der LGNM (Lëtzebuerger Gesellenschaft fir Nei Musek), deren zweites Festival luxemburgischer Musik mit dieser Aufführung eingeleitet wurde, auch das Escher Stadttheater mit seinen Bühnentechniken umfaßte.

Ziele

Ziele stecken, und diese auch erreichen dank einer gezielten Mobilisation von Motivationen, dank eines konsequenten Einsatzes von Qualität, dank der bestmöglichen Wahl an Beteiligten, dieser Weg zum Erfolg wurde an am jenem dramatisch verschneiten Abend beschritten. Vor allem waren es die Komponisten und die Interpreten, ohne deren Beitrag die ganze Angelegenheit verflacht wäre, die Anna Reckers Ideen zu dem verhalfen, was ihnen zustand: sie fanden Beachtung, wurden zwar nicht immer und in ihrer Integralität verstanden (doch war dies auch nicht ihr Ziel), schlugen, in ihrer theatralischen Umsetzung, dank Claude Lenners‘, Camille Kergers und Patrick Blancs Musik (in der Reihenfolge der drei „Akte“), mitten im Publikum ein! […]

(P.s.: die Zitate stammen aus der Aufzeichnung eines Gesprächs, welches Anna Recker mit Curt Heigel, Direktor der Kunsthalle-Nürnberg, führte)

Arthur Stammet

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