Blickwinkel 

Auszüge aus dem Redetext von Eva-Maria Reuther zur  Ausstellung

Städtische Galerie Saarburg, Amüseum,  2013

…Anna Recker nutzt die geometrische Form als Grundform ihrer Arbeit. Jene geometrische Grundform denkt sie weiter, vervielfältigt sie, wandelt sie in immer neuen Variationen ab und lotet ihre Verhältnisse, Möglichkeiten und Bedingungen aus.

Wie Sie wissen, gilt die geometrische Form als die reine, die philosophische Form. Über dem Eingang zu Platons Akademie soll – so wird berichtet – die strikte Anweisung gestanden haben: „Keiner, der nichts von Geometrie versteht, trete hier ein“. Ihre enge Beziehung zur Philosophie verdankt die Geometrie der Tatsache, dass die ersten Philosophen, die unsere abendländische Philosophiegeschichte kennt, Mathematiker waren wie Pythagoras oder Euklid. Philosophieren hieß für sie, über Beziehungen von Punkt, Linie, Fläche und Raum nachzudenken, ihre Endlichkeit und Unendlichkeit zu erkennen. Genau das ist ein auch wesentlicher Bestandteil des Schaffens von Anna Recker. Jenen ersten Mathematiker Philosophen ging es übrigens – das mag uns heute erstaunen – nicht allein um Logik. Es ging ihnen auch darum, aus diesen mathematischen Beziehungen ästhetisch ansprechende Figuren und Formen herauszubilden. Der philosophische Umgang mit der geometrischen Form war frei von jeglichem Bezug zur fassbaren Wirklichkeit. Eben diese Weltferne macht die geometrische Form als geistige Form bis heute zu einem idealen Instrument für Künstler und Wissenschaftler, mit dessen Hilfe sie ihren Visionen als Muster und Model ins Bild setzen. Sie erinnern sich an die bunten Quadratfelder, aus denen die Konstruktivisten ihr Modell einer besseren Welt konstruierten oder an das zivilisatorische Hexagramm des Soziologen Dieter Senghaas. Die Möbius-Schleife hingegen mit ihren Eigenschaften diente nicht nur dem modernen französischen Schriftsteller Michel Houellebecq als Sinnbild des Unendlichen und Unlösbaren.

In der geometrischen Form lässt sich aber auch symbolhaft unterbringen, was über diese Welt hinausreicht. Die Vielecke der Geometrie wurden zum Zeichen für jede Menge religiöser und metaphysischer Glaubensinhalte.

Auch den Philosophen waren ihre rein abstrakten Denkmodelle nicht genug. Spätestens seit Aristoteles verlangte es sie, systematisch mehr über den Menschen und seine Wirklichkeit zu erfahren und zwar eine Wirklichkeit, die gleichermaßen Geist und Sinne betraf. Der Geist wurde gleichsam geerdet. Leonardo da Vinci, der Künstler, Philosoph und Naturwissenschaftler – sozusagen „avant la lettre“- wird 2000 Jahre nach Aristoteles in seinen Tagebüchern festhalten:“ Die geistigen Dinge, die nicht den Weg durch die Sinne gegangen, sind eitel“.

Auch in Anna Reckers Werken geht der Geist durch die Sinne. Es sind zwei Positionen, die die Brücke schlagen, von jener frühen geistigen Form der antiken Philosophen hin zur modernen Kunst mit ihrer Verdichtung von Wirklichkeit und Vision in wenigen Zeichen. Es sind Werke, die sich im Spannungsfeld von Rationalität und Emotion, von Sinnlichkeit und geistiger Strenge bewegen. Anna Reckers Werk verweist zudem auf die hohe Zeichenkunst der Renaissance…

…in Max Frisch Drama „Don Juan oder die Liebe zur Geometrie“, versucht der spanische Edelmann Juan über die Geometrie der Wahrheit näher zu kommen. Auch Anna Reckers Konzentration auf die geometrische Form, ihre Analysen wie ihre Synthesen haben ihrem Wesen nach etwas von der tiefgründigen Wahrheitssuche jenes spanischen Granden bei Max Frisch. Über die Auseinandersetzung mit der geometrischen Form setzt sie sich mit der Welt und der eigenen Position darin, auseinander.   „Das Komplexe ist aus einer großen Zahl von Einfachem zusammengesetzt“, hat die Künstlerin unter eine ihrer Skizzen geschrieben. Ihr lapidarer Satz ist für mich gleichermaßen künstlerisches Programm wie Ausdruck existentieller  Einsicht und Welterkenntnis. Anna Reckers Grundform ist – wie gesagt- die geometrische Form, vorzugsweise das Hexagon- das Sechseck eben- und sein Grundelement das Dreieck…

Das Sechseck ist eine seit alters her symbolisch hoch aufgeladene Form. Im Judentum und Christentum stellt es die Allmacht und Allgegenwart Gottes dar. Sie finden es zahlreich in der christlichen Kunst. Es bildet den Tisch im mittelalterlichen Paradiesgärtlein genauso wie den  Grundriss der Kuppel des Doms von Siena. Leonardo da Vinci mit seinem Interesse an allem, was die Welt im Innersten zusammenhält, sah im Hexagon die Urzelle menschlichen Lebens. Wie weiland Aristoteles fand er in der Natur zahlreiche geometrische Formen wieder, etwa das Hexagon in der Bienenwaabe oder die Spirale im Schneckenhaus.

Grundlage von Anna Reckers bildnerischer Arbeit ist die Zeichnung. Zeichnend zerlegt sie ihre geometrischen Formen in ihre Grundelemente und analysiert sie. Manche ihrer Zeichnungen und Skizzen muten an wie die Planzeichnungen von Konstrukteuren technischer Anlagen. Aber sie haben auch etwas vom altmeisterlichen „Disegno“ der Renaissance Künstler. Anna Recker belässt es freilich nicht beim Zerlegen. Sie variiert die ausgelösten Elemente, verselbständigt sie und denkt sie fort, verräumlicht sie aus der Fläche zum Körper. Manch ein Teil verfremdet sie, setzt konkave und konvexe, negative und positive Formen gegeneinander und fügt am Ende alles wieder zur neuen Form und damit zum neuen Bild zusammen. „Komplexe Systeme zwischen Odnung und Chaos“ notiert Anna Recker über ihre Zeichnungen an anderer Stelle und bezeichnet damit genau jenes Kräftefeld in dem sich ihr künstlerisches Schaffen bewegt.

Anna Recker bleibt nämlich bei keinem von beiden stehen. Ihre Bildschöpfungen verharren weder statussicher in der strengen Ordnung ihres geometrischen Regelwerks, noch verlieren sie sich im Chaos der Beliebig- und Richtungslosigkeit. Anna Reckers Hexagramme und Dreiecke sind immer auch das andere: die feste und die freie Form, fest gefügte Ganzheit und phantasievolle Vielfalt. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist ihr Labyrinth. Wir sehen es im selben Bild einmal als geschlossenes, geradezu abweisendes System. Im Bild darunter sehen wir die Binnenstruktur dieses scheinbar hermetischen Systems, als ein Gefüge offener Wege, von denen allerdings nur einer zum Ziel führt.

Anna Reckers Bilder sind vielschichtig, mehrdeutig. Wie Sie sehen fügt die Künstlerin ihren Bildräumen und geometrischen Formen Schneckenhäuser (jene natürlichen Spiralen) oder Steine ein, lässt Halbkugeln schweben. An anderer Stelle fasst sie des Himmels Blau im strengen Hexagon. Wieder anderswo flattert die hochkomplizierte Möbius-Schleife wie das harmlose blaue Frühlingsband aus Ludwig Uhlands Gedicht durchs Dreieck. Es ist genau jener Schwebezustand zwischen Traum und geistiger Strenge, zwischen der Vernunft des Geistes und der des Gefühls, der Anna Reckers Bilder, bei aller Klarheit der Linie, so poetisch – ich möchte sogar sagen- so verlocked macht. Die Farbe tut dabei ein übrigens. Anna Reckers wunderbar subtiler Umgang mit der Farbe entrückt ihre Bilder und Wandobjekte in eine andere phantastische zuweilen gerade transzendentale Jenseitigkeit. Anna Reckers Bilder tragen so Erde und Himmel, Traum und Tag in sich…

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